Ռալֆ Ռոթման խմբագրել

Ռալֆ Ռոթման (գերմ. Ralf Rothmann, մայիսի 10, 1953, Շլեզվիգ), գերմանացի գրող: Նրա վեպերում, պատմվածքներում և բանաստեղծություններում ներկայացվում է Գերմանիայի Դաշնային Հանրապետության կյանքի համայնապատկերը երկրորդ համաշխարհային պատերազմի ժամանակներից մինչ այժմ: Ռոթմանն իր աշխատանքի համար ստացել է բազմաթիվ անվանի գրական մրցանակներ:

 
Ռալֆ Ռոթման(2006)

Կյանք և աշխատանք խմբագրել

Ռալֆ Ռոթմանը ծնվել է Գերմանիայի հյուսիսում գտնվող Շլեզվիգում և մինչև հինգ տարեկանը ապրել է Բյոքլունդի մերձակայքում գտնվող Ֆարենշտեդթ կալվածքում: Հայրը՝ Վալտեր Ռոթմանը, և մայրը՝Էլիզաբեթը, ծնված Իսբաներ, ծագումով Դանցիգի մերձակայքի Քոնիցից էին և աշխատում էին այնտեղ որպես կթվոր: Եղբայրներից մեկի ծնվելուց հետո ընտանիքը տեղափոխվեց Ռուրի շրջանում գտնվող Օբերհաուզեն , որտեղ անհրաժեշտ էր աշխատուժ ածուխի արդյունահանման համար, և վաստակելու հնարավորություններն ավելի լավն էին:

Տեղափոխությունը Շլեզվիգ-Հոլշթայնի գյուղական իդիլիայից դեպի Ռուրի շրջանի ծխոտված արդյունաբերական լանդշաֆտ նշանակում էր ցնցում հնգամյա տղայի համար(որն էլ արտացոլվում է Ռոթմանի որոշ ստեղծագործություններում): Հայրն ածխահատ էր աշխատում Հանիելի հանքահորում, մայրը՝ որպես մատուցողուհի կայարանի ռեստորանում: Հիմնական դպրոցից հետո կարճ ժամանակ հաճախել է բիզնես դպրոց, ապա սկսել է սովորել որմնադրի գործը:Մի քանի տարի աշխատել է շինարարության մեջ, այնուհետև ամենատարբեր մասնագիտություններով, օրինակ որպես խոհարար և վարորդ մի մեծ ընկերությունում, որպես բուժեղբայր Էսսենի համալսարանական կլինիկայում: Այդ ընթացքում նա սկսել է ինտենսիվ կարդալ և գրել է իր առաջին բանաստեղծությունները:

1976 թվականին տեղափոխվել էԲեռլին, սկզբում՝ Շյոնեբերգ, որտեղ նա ծանոթացել է Վինթերֆելդփլացի շուրջ բոհեմական բեմի առաջին գրողներին ու արվեստագետներին: Մինչ նա ուսումնասիրում էր պարսպապատ քաղաքի ցուցանակները և գումար էր աշխատում որպես տպագրող կամ որպես խոհարար պանդոկում, ստեղծվեց պոեզիայի առաջին հատորը, որն էլ լույս տեսավ 1984 թվականին արևմտյան Բեռլինի մի փոքրիկ հրատարակչության կողմից:

Բացի դրանից Ռոթմանը կատարել է երկարատև շրջագայություններ ԱՄՆ-ում և Հարավային Ամերիկայում (Մեքսիկա, Պերու Էկվադոր): Որպես արձակագիր նրա առաջին ստեղծագործությունը եղել է «Դանակի սայրը» պատմվածքը 1986 թվականին, իսկ առաջին վեպը լույս է տեսել 1991-ին: Դրանից հետո մի տարի ապրել է Փարիզում: Նրա գործերի մեծ մասն ստեղծվել է Հունաստանում (Իթակե, Հիդրա, Թասոս, Սպեցես) երկարատև կանգառների ժամանակ, բայց նաև Բալթիկ ծովի մոտ(Գլյուքսբուրգ, Արենսհոփ, Թրավեմյունդե):

Als Prosaautor debütierte er 1986 mit der Erzählung Messers Schneide, ein erster Roman erschien 1991. Danach lebte er ein Jahr lang in Paris. Ein Großteil seines Werkes entstand während längerer Aufenthalte in Griechenland (Ithaka, Hydra, Thassos, Spetses), aber auch an der Ostsee (Glücksburg, Ahrenshoop, Travemünde). 1994 war Rothmann writer in residence in Oberlin (Ohio, USA), im Wintersemester 1999/2000 poet in residence an der Universität Essen. Immer aber blieb Berlin für ihn das Zentrum seines Arbeitens. Nach der Maueröffnung, die er in Kreuzberg erlebte, zog er in den ehemaligen Ostteil der Stadt, nach Friedrichshagen am Müggelsee, und heute lebt er mit seiner Frau, einer Literaturwissenschaftlerin, im äußersten Norden, in Berlin-Frohnau.

Von den ersten, noch im Ruhrgebiet angesiedelten Romanen Stier, Wäldernacht, Milch und Kohle und Junges Licht an sind Rothmanns Romane „autobiographisch getönt“, wie er sagt. Nicht intellektuelle Exkursionen also, sondern persönliche, auf den Reisen und in den verschiedenen Berufen gewonnene Erfahrungen sind ihm Anlass für seine Literatur. Auch das Leben in Berlin findet seinen Niederschlag in Erzählungsbänden und Romanen wie etwas Flieh mein Freund!, Hitze, Rehe am Meer oder Feuer brennt nicht. Außerdem setzt er sich in dem Roman Im Frühling sterben von 2015, in fünfundzwanzig Sprachen übersetzt und von der Kritik in seiner Intensität mit „Im Westen nichts Neues“ von Remarque verglichen, und in dem darauf folgenden Roman Der Gott jenes Sommers (2018) mit der Generation seiner Eltern auseinander, mit ihrem Schweigen und Verschweigen in den dunkelsten Jahren der deutschen Geschichte.

Կաղապար:ZitatUnd Hajo Steinert schrieb in der „Literarischen Welt“ (29. April 2012): „Kaum ein anderer Autor seiner Generation beherrscht die Erzählkunst eines poetischen Realismus so wie der vielfach preisgekrönte Ralf Rothmann. Auf seine Bücher warten manche Leser so inbrünstig wie früher Fans auf die neue Platte ihrer Lieblingsband.“

Werk խմբագրել

Ruhrgebietsromane խմբագրել

Die Ruhrgebietsromane (Stier, Wäldernacht, Milch und Kohle, Junges Licht) Ralf Rothmanns stehen in einem engen Zusammenhang, nicht nur bezogen auf Ort und Zeit des Geschehens. Es gibt Rückkehrerfiguren, die nach langer Abwesenheit noch einmal in die Region verschlagen werden, es gibt die Welt der Jugendbanden und ihrer Regelverstöße und es gibt die Kinder, die in den Arbeitersiedlungen groß werden. Dabei unterscheidet sich das Erzählen Rothmanns deutlich von den politischen Schreibkonzepten der Dortmunder Gruppe 61 oder dem späteren Werkkreis Literatur der Arbeitswelt.

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Rothmann schildert die Welt der kleinen Leute an der Ruhr aus der Außenseiterposition, aus der Sicht der Kinder, von Aussteigern, von Künstlern. Wenn er die Arbeitswelt der Bergleute durchaus kenntnisreich schildert, bekommt seine Darstellung schnell einen mythischen Zug. Die Wäldernacht, das Dunkel der in der Steinkohle konservierten Wälder, erscheint eher als geheimnisvolle Gegenwelt der Väter, wie sie sich deren Kinder vorgestellt haben mögen. Rothmanns Romane sind stark autobiographisch geprägt, von den Erfahrungen der Kindheit an der Ruhr ebenso wie in der Distanz des freien Autors, der prägende Ereignisse aus der Berliner Distanz erneut reflektiert.

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Stier խմբագրել

Thema des Romans ist die Jugendkultur der 70er Jahre im Ruhrgebiet. Mit Rockmusik, Drogen, wilden Partys und ersten WGs sucht eine kleine Szene von Außenseitern neue Lebenswege. Erzählt wird die Geschichte des Berliners Kai Carlsen, seine Erinnerung ans Ruhrgebiet. In der Welt der Bergarbeitersiedlungen wird Kai Carlsen Maurer, aber sucht gleichzeitig nach der großen Liebe, nach alternativen Lebensentwürfen.

Mit der Figur Eckhart Eberwein setzt Rothmann denen ein Denkmal, die an der Ruhr erste Treffpunkte für die Subkultur ins Leben riefen, Konzerte veranstalteten und wilde Partys feierten. Der frühere Bauingenieur betreibt die Diskothek Blow up in Essen, Kai Carlsen beginnt bei ihm zu arbeiten, zieht schließlich sogar bei Eberwein ein.

Die wilde Szene gerät aber, vor allem durch Drogen, in immer heftigere Probleme, persönliche Katastrophen zeichnen sich ab. Kai Carlsen entkommt in einen Job als Pflegehelfer und qualifiziert sich dort weiter, indem er den Umgang mit einer komplexen Maschine zur „Blutwäsche“ erlernt. Ein kunstbegeisterter Kolumbianer und die Krankenschwester Marleen helfen ihm, in der Welt schwerer Krankheiten und des täglichen Todes zu überleben.

Trotz aller Katastrophen wird die Rock-Szene als Lebenswelt geschildert, die dem jungen Carlsen neue Perspektiven eröffnete, als Befreiung aus dem dumpfen Mief der Elterngeneration. Insofern ist Stier ein Bildungsroman. Die Zeit der wilden 70er repräsentiert für den Erzähler Kai Carlsen die Sehnsucht nach einem anderen Leben und erscheint trotz aller negativen Entwicklungen als Aufbruchszeit.

Wäldernacht խմբագրել

Der Roman Wäldernacht schildert das Ruhrgebiet aus der Perspektive des Außenseiters. Der Künstler Jan Marrée kehrt auf Einladung eines Kunstmäzens in seine Heimatstadt zwischen Bottrop und Oberhausen zurück. Er erinnert sich an seine Jugendzeit mit Rockern, Konzerten und ersten Liebesabenteuern. Er trifft dabei auf die gealterten Figuren seiner Jugend. Prägende Figur ist dabei „Racko“, der als Zuhälter und Dealer versucht, seinen Traum vom anderen Leben mit Gewalt weiterzuleben.

Der Titel verweist auf die versunkenen Wälder der Urzeit, die in den Tiefen des Ruhrgebiets als Steinkohle ruhen. Gleichzeitig spielt er auf literarische Quellen an, der Begriff erscheint unter anderem bereits im Torquato Tasso (6. Gesang)[1] und im Hyperion:

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Milch und Kohle խմբագրել

Der Roman Milch und Kohle wendet sich noch einmal dem Ruhrgebiet der 60er Jahre zu. Nach seiner Schilderung der Berliner Welt der 90er aus der Sicht eines Jugendlichen zieht es Rothmann noch einmal zurück ins Ruhrgebiet, in die spießige Welt der Arbeiter und ihrer Familien. Beobachtet und geschildert wird diese Welt aus der Sicht eines Arbeitersohns. Es ist die Beobachtung eines Scheiterns. Die Träume der Erwachsenen von heiler Welt zerbrechen an finanziellen Sorgen, an Staublunge, in Alkoholexzessen. Wie in Flieh, mein Freund! bricht die Mutter aus der Familienordnung aus. Es ist aber nicht die große Flucht der Berlinerin in Drogen und weite Reisen, sondern die kleine Flucht ins Tanzcafé, zu einem italienischen Liebhaber.

Thomas Wirtz interpretiert in der FAZ Rothmanns humorvolle Tanzanleitung zum Twist als Metapher für den rasenden Stillstand der Zeit: „Twist ist die bewegte Allegorie der frühen sechziger Jahre: ein Stillstand bei durchrüttelnder Körperunruhe, eine Standorttreue mit vergeblichen Ausbruchsversuchen im Hüftbereich.“[2]

Junges Licht խմբագրել

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Der Roman Junges Licht schildert die Sommerferien des zwölfjährigen Bergarbeitersohns Julian und in einer zweiten Erzählebene die Arbeit des Vaters unter Tage. Die Welt der Bergleute und ihrer Kinder um 1960 erscheint dabei wesentlich aus der Perspektive des Jungen. Rothmann erhielt für den Roman 2004 den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis, der von Deutschlandradio und der Stadt Braunschweig verliehen wird.

Berliner Romane խմբագրել

Flieh, mein Freund! խմբագրել

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Der Roman Flieh, mein Freund! spielt in Berlin. Erzähler und Zentralfigur ist der 20-jährige Louis Blaul, genannt „Lolly“. Als Sohn der 1968er-Generation ist er bei den Großeltern aufgewachsen. Seine Mutter Mary hat seinen Vater Martin bei einer Anti-Atomkraft-Demonstration kennengelernt. Die Mutter ist aber alles andere als politisch, eher esoterisch und flippig. Als Drogenkurier geschnappt, verbrachte sie Lollys Kinderzeit in Gefängnis und Psychiatrie und interessiert sich auch nachher wenig für die Familie. Der Vater als Gegenfigur hat sich mit einer eigenen Werbeagentur etabliert, heißt deshalb in der Familie sarkastisch „Onkel Umsatz“. Kernthema des Romans ist Lollys erste große Liebe zu einer pummeligen Frau, die er sehr erotisch findet. Gleichzeitig schämt er sich aber für ihr Aussehen.

Der Roman kommt in der flapsigen Sprache des Berliner Jugendlichen daher, bemüht sich sehr um Bonmots und kleine, witzige Episoden aus dem Berliner Alltag.

Hitze խմբագրել

Inhalt im Wortlaut des Klappentextes: Seit dem Tod seiner Lebensgefährtin, der ihn völlig aus der Bahn geworfen hat, arbeitet der Kameramann Simon deLoo als Hilfskoch und Fahrer in einer Großküche in Berlin-Kreuzberg. Eines Tages glaubt er in einer jungen polnischen Stadtstreicherin die Silhouette seiner toten Frau wiederzuerkennen. Er versorgt sie mit deren Kleidung, überlässt ihr die leerstehende Wohnung – doch Lucilla entzieht sich ihm: Sie ist auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit und will sich zunächst nicht mit ihm einlassen...[3]

Ein zentrales Anliegen des Romans ist die Schilderung der Welt der kleinen Leute, der Kneipen, der Großküchen, der Straße. Der Wortwitz der Gescheiterten fasziniert Rothmann auch im Roman Hitze. Christoph Bartmann schreibt in seiner Rezension für die Süddeutsche Zeitung:

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Mit der Erzählerfigur des Fahrers gelingt es Rothmann, sehr unterschiedliche soziale Lebenswelten zu verbinden. Die Welt der Penner, denen sein Arbeitskollege heimlich Mahlzeiten zukommen lässt, den Schlachthof und seine Brutalität, die billigen und schmutzigen Berliner Bordelle ebenso wie die frustrierte Luxuswelt der Neureichen.

Mit seiner neuen Liebe Lucilla kehrt der Erzähler Berlin den Rücken und entdeckt mit ihr die Welt des ländlichen Polens, die romantischen Seen und die Natur. Aber auch diese Welt ist bereits angekränkelt, hinter der Fassade verbirgt sich knallharte Immobilienspekulation. Rothmann zeigt den Zusammenbruch dieses Traums in einem Bild, der grausam detailliert geschilderten Zerstörung eines Nests durch einen Habicht.

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Das „grandiose Scheitern“, der beinahe mythologische Zug seiner scheiternden Helden, hat Rothmann den Ruf eines christlichen Schriftstellers eingebracht. Für Milch und Kohle hat Rothmann den Evangelischen Buchpreis bekommen. Obwohl Bekenntnisse vom Autor nicht zu haben sind, weist er den christlich-meditativen Zug seines Schreibens auch nicht zurück:

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Auch der Roman Hitze reflektiert das Thema Bildungsroman auf typisch Rothmannsche Weise. Wie auch andere Helden der Moderne endet DeLoos Lebensbericht nicht mit erfolgreicher Integration in die Gesellschaft. Typisch für Rothmanns Helden ist dabei ein meditativer Zug der Verweigerung.

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Feuer brennt nicht խմբագրել

Berlin, fast zwanzig Jahre nach dem Mauerfall. Kreuzberg ist gesichtslos geworden. Auch Wolf ist in die Jahre gekommen und seine Liebe zu Alina verblasst. Einige Jahre zuvor schien die Beziehung des Autors in mittleren Jahren und der jungen Buchhändlerin noch für die Ewigkeit gemacht zu sein. Mittlerweile kreisen Wolfs Gedanken mehr um die Angst vor dem eigenen Altern. Der Umzug an den Müggelsee soll die Lösung sein. Doch als plötzlich Charlotte auftaucht, eine Geliebte aus der Vergangenheit, wird die Idylle am grünen Rand der Stadt schnell wieder brüchig. Die als Ausflüge mit seinem Labrador Webster getarnte erotische Affäre zur Professorin bleibt von Alina nicht lange unbemerkt. Doch zu Wolfs Überraschung akzeptiert sie das Verhältnis nicht nur, sie ermuntert ihn sogar dazu...

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Krieg und Nachkrieg խմբագրել

Im Frühling sterben խմբագրել

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Der Gott jenes Sommers խմբագրել

Auch in „Der Gott jenes Sommers“ (2018) werden, wie in „Im Frühling sterben“ (2015), die letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges beschrieben. Wurden in dem vorigen Roman die Erlebnisse der beiden (zwangsrekrutierten) SS-Soldaten Walter Urban und Fiete Caroli während der letzten großen Wehrmachtsoffensive in Ungarn erzählt, so bildet jetzt die sogenannte Heimatfront den Hintergrund des Geschehens: Die zwölfjährige Luisa Norff lebt mit ihrer älteren Schwester Sibylle und der Mutter auf einem Gut des Schwagers Vinzent, eines hochrangigen SS-Offiziers, am Kaiser-Wilhelm-Kanal (dem heutigen Nord-Ostsee-Kanal). Der Vater, der ein Militärkasino in Kiel führt, besucht die Familie nur gelegentlich und bringt dann Lebensmittel mit, aber auch – und das ist für Luisa weitaus bedeutender – immer wieder Bücher. Durch den klugen Blick des Mädchens erfährt der Leser, wie die einzelnen Familienmitglieder mit der Bedrohung durch Tiefflieger, dem Flüchtlingselend, der Verblendung, dem Verschweigen und der allgegenwärtigen Denunziation umgehen: Es gibt Ironie und Sarkasmus auf Seiten des Vaters, stille Resignation und Abstumpfung auf Seiten der Mutter, und die neunzehnjährige Sibylle, die unter den Entbehrungen des Krieges am meisten zu leiden scheint, spricht offen aus, was allen klar ist. „Alle hier haben ein Radio und wissen, dass es vorbei ist, oder? Dass der Ami bald den Rhein überquert, der Russe vor Berlin steht und die Wunderwaffe nur Gequatsche ist. Jeder Soldat, der jetzt noch ins Feld muss, stirbt für nichts und wieder nichts, und je eher sie euren Hitler und sein Gesocks zum Teufel jagen, desto besser für uns!“ (Seite 74) Mit ihrem verzweifelten Hedonismus und ihrer an Prostitution grenzenden Offenheit für das männliche Geschlecht provoziert sie vor allem ihre Stiefschwester Gudrun, Tochter der Mutter aus erste Ehe und linientreue Führerin der NS-Frauenschaft, denn auch deren Mann Vinzent zählt zu ihren Geliebten – was Billie eines Tages zum Verhängnis werden soll.

Luisa sieht vieles, versteht aber nicht alles; so auch das Geschehen anlässlich des 40. Geburtstags von Vinzent: Es wird ein großes Fest gegeben, Lebensmittel werden aufgetischt, die im gesamten Reich nur noch schwer zu bekommen sind, und trotz Endzeitstimmung wird nahezu orgiastisch gefeiert: „Genießt diesen Krieg“, sagt einer der hochrangigen SS-Gäste, „der Frieden wird furchtbar werden.“ (Seite 155) Auf diesem Fest verschwindet die betrunkene, von geilen und machtgeilen Männern umschwärmte Sibylle plötzlich, und auch Luisa widerfährt genau das, wovor sie sich, wie die meisten Frauen der damaligen Zeit, am meisten gefürchtet hat: Sie wird vergewaltigt – aber nicht, wie stets befürchtet, von einem Russen, sondern von ihrem Schwager Vinzent. Kurz darauf erkrankt sie schwer an Typhus und muss für längere Zeit das Bett hüten, und als sie wieder gesund ist, lebt ihre Schwester Sybille nicht mehr auf dem Gut und keiner will eine nähere Auskunft über ihren Verbleib geben. Und doch ahnt der Leser bereits das Ungeheuerliche, als Luisa bei einer benachbarten Perückenmacherin einen Schopf Haare entdeckt, von dem ihr „das Gedächtnis der Hände“ (Seite 13) sagt, dass er ihrer Schwester gehört.

Kontrastiert wird das Geschehen von kurzen Auszügen einer fiktiven Chronik des Dreißigjährigen Krieges, aufgezeichnet von einem Schreiber namens Bredelin Merxheim. Die Schauplätze der furchtbarsten Gemetzel befinden sich an dem alten „Ochsenweg“, an dem ungefähr 300 Jahre später das Gut liegt. Die Worte Bredelin Merxheims bilden gewissermaßen einen historischen Hallraum, ein Echo aus ferner Zeit, in der der Chronist und sein Freund eine Kapelle zum Andenken an die Geschändeten und Getöteten vom jenseitigen Ufer des Sees in ihr Dorf ziehen wollen. Das gelingt nicht, sie geht unter, aber: „Mag der Gott dieses Sommers unsere Nähe auch verschmähen – kann er sich denn weiter entfernen, als der Gedanke, der ihm gilt? (…) Unser Bemühen war ein reines, also vollkommenes und konnte wahrhaftiger nicht sein, und somit ist alles gelungen (...): Das Kirchlein, es steht an seinem Orte!“ (Seite 240/241) – Als Zeugnis der Vergangenheit und als Resultat geologischer Veränderungen ist es gerade diese Kapelle, die den Nationalsozialisten als Teil einer Umzäunung eines Straflagers dient und die Luisa 1945, als sie ermattet konstatiert „Ich habe alles erlebt“ (Seite 254), wieder aufbauen hilft.

Die Bildlichkeit des Buches, deren Symbolik elegant hinter einer alltäglichen Betrachtungsweise verschwindet, und die Humanität jenseits religiöser Dogmatik machen diesen Roman so reich und interessant. Christoph Schröder gibt einen wichtigen Hinweis auf den Stil des Autors, wenn er schreibt: „Ralf Rothmann ist ein Schriftsteller, den nicht die Reflexion, sondern das bloße Erzählen und die Evokation starker, aussagekräftiger Bilder antreibt.“ (Deutschlandfunk vom 20. Mai 2018) Und Maik Brüggemeyer schreibt in Rolling Stone (Ausgabe Juni 2018): „Ein Stück Geschichte, in dem sich nicht nur der Dreißigjährige Krieg spiegelt, sondern auch die Schicksale der Familien, die heute vor Kriegen fliehen und ohne Heimat sind.“

Auszeichnungen խմբագրել

Werkverzeichnis խմբագրել

Verfilmungen խմբագրել

Die Erzählung Der Stolz des Ostens aus dem Kurzgeschichtenband Rehe am Meer (2006) wurde vom dffb-Absolventen Christoph Wermke 2011 mit dem gleichen Filmtitel in Kooperation mit dem RBB verfilmt. Für den 2012 veröffentlichten Kurzfilm von 26 Minuten führte Wermke nicht nur Regie, sondern schrieb auch das Drehbuch. Die Jury-Begründung für das Prädikat besonders wertvoll sagte: der Film sei "ein in sich stimmiger und atmosphärisch reicher Kurzspielfilm, der so poetisch schillert wie sein Titel."[10]

2016 inszenierte Regisseur Adolf Winkelmann „Junges Licht“ über den Zustand des Ruhrgebiets in der Nachkriegszeit aus Sicht des 12-jährigen Arbeitersohns Julian Collien. Das Drehbuch schrieben Nils und Till Beckmann zusammen mit Adolf Winkelmann. Kinostart in Deutschland war der 12. Mai 2016. Der Film erhielt den Hauptpreis beim Kirchlichen Filmfestival Recklinghausen im März 2016.

Theaterinszenierung խմբագրել

Der Roman Milch und Kohle wurde 2003 auf der RuhrTriennale als Theaterstück aufgeführt. Die Uraufführung fand am 18. Juni 2003 in der Jahrhunderthalle Bochum in Zusammenarbeit mit der Theatergruppe ZT Hollandia aus Eindhoven statt. Regie führten Johan Simons und Paul Koek, der Dramaturg war Gerard Mortier, an der Konzeption wirkte der Schauspieler Jeroen Willems mit. Die musikalische Bearbeitung unterlag Paul Koek und Anke Brouwer: Begleitet von einem Kammermusik-Ensemble unter der Leitung von Edward Gardner wurden Verdi-Arien, gesungen von Elzbieta Szmytka, Carol Wilson (Sopran), Dagmar Peckova (Mezzosopran) und Hector Sandoval (Tenor), in den Handlungsablauf einfügt. Das Bühnenbild bestand aus 16 Tonnen Briketts.

Weiterführende Literatur խմբագրել

  • Franz-Josef Deiters: Staub der einen Besuch abstattet. Zur Selbsterinnerung der Schrift in Ralf Rothmanns „Milch und Kohle“. In: Limbus. Australisches Jahrbuch für germanistische Literatur- und Kulturwissenschaft/Australian Yearbook of German literary and cultural studies. 1, 2008, ISBN 978-3-7930-9541-5, S. 67–84.
  • Andreas Erb: Ralf Rothmann. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Kritisches Lexikon der Gegenwartsliteratur. (Loseblattsammlung) Edition Text und Kritik, München. (Aktualisierungsstand 2006)
  • Christian Goldammer: Initiation in den Romanen Ralf Rothmanns. (= Epistemata. 701). Königshausen & Neumann, Würzburg 2010, ISBN 978-3-8260-4336-9.
  • Dieter Heimböckel, Melanie Kuffer: Wir hatten ja auch gute Jahre. Heimat und Identität in Ralf Rothmanns Roman „Milch und Kohle“. In: Michael Szurawitzki, Christopher Schmidt (Hrsg.): Interdisziplinäre Germanistik im Schnittpunkt der Kulturen. Festschrift für Dagmar Neuendorff zum 60. Geburtstag. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008, S. 361–369.
  • Anja Maria Richter: Das Studium der Stille. Deutschsprachige Gegenwartsliteratur im Spannungsfeld von Gnostizismus, Philosophie und Mystik – Heinrich Böll, Botho Strauß, Peter Handke, Ralf Rothmann. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-631-60162-4.
  • Oliver Ruf: Milieu – Schwelle – Memorie. Zur Liminalität des Ruhrgebiets in Ralf Rothmanns Gegenwartsromanen. In: Jan-Pieter Barbian, Hanneliese Palm (Hrsg.): Die Entdeckung des Ruhrgebiets in der Literatur. Klartext Verlag, Essen 2009, S. 261–279.
  • Hubert Winkels (Hrsg.): Ralf Rothmann trifft Wilhelm Raabe. Der Wilhelm Raabe-Literaturpreis – das Ereignis und die Folgen. Wallstein Verlag, Göttingen 2005, ISBN 3-89244-956-2.
  • Henning Ziebritzki: Ohrenglück, Lichterschrift. Zu Ralf Rothmanns Erzählwerk. In: Akzente. Zeitschrift für Literatur 4 (2014), S. 304–313.

Weblinks խմբագրել

Einzelnachweise, Fußnoten խմբագրել

  1. Torquato Tasso. Befreites Jerusalem. auf: projekt-gutenberg.org
  2. (FAZ, zitiert nach buecher.de)
  3. Homepage des Suhrkamp-Verlages, abgerufen am 30. Juni 2015.
  4. Walter-Hasenclever-Preis der Stadt Aachen an Ralf Rothmann, boersenblatt.net vom 19. Oktober 2010, abgerufen 31. August 2017
  5. Katholische Kirche zeichnet Ralf Rothmann aus : „Meister der Antihelden“, Börsenblatt-Magazin für den Deutschen Buchhandel vom 20. Oktober 2014, abgerufen 21. Oktober 2014.
  6. Gerty-Spies-Literaturpreis an Ralf Rothmann, boersenblatt.net vom 18. August 2017, abgerufen 31. August 2017
  7. Hannoversche Allgemeine Zeitung Nr. 168 vom 21. Juli 2018, S. 23
  8. Կաղապար:Webarchiv 26. April 2012 "Shakespeares Hühner", Rezension von Sylvia Schwab
  9. Neuer Roman von Ralf Rothmann : Hitlers letzte Brigade. Rezension von Im Frühling sterben von Thomas Andre auf Spiegel Online, 18. Juni 2015.
  10. Der Stolz des Ostens, FBW-Pressetext, abgerufen 13. August 2017

Կաղապար:Normdaten

Կաղապար:SORTIERUNG:Rothmann, Ralf Kategorie:Autor Kategorie:Literatur (20. Jahrhundert) Kategorie:Literatur (21. Jahrhundert) Kategorie:Literatur (Deutsch) Kategorie:Lyrik Kategorie:Drama Kategorie:Erzählung Kategorie:Roman, Epik Kategorie:Schriftsteller (Berlin) Kategorie:Deutscher Kategorie:Geboren 1953 Kategorie:Mann

Կաղապար:Personendaten